In vielen Bereichen zeichnet sich derzeit eine Verstärkung von Ordnungs-, Sicherheits- und Überwachungsdiskursen ab, durch die Wertevorstellungen und Normalität diskutiert und ausgehandelt werden. Während von der Politik Maßnahmen getroffen werden, die sowohl den Entwurf des Selbst als auch der Gesellschaft betreffen, gibt es gleichzeitig Stimmen, die dabei eine eingreifende Kontrolle, staatliche Steuerungen und damit eine Beschränkung der Individualität und Freiheit befürchten. Eine differenziertere Betrachtung zeitgenössischer Phänomene zeichnet aber auch ein Bild, bei dem Menschen staatliche Kontrollversuche in Frage stellen, Eigenstrategien entwickeln und somit die Kontrollierenden herausfordern. Im Zuge spätmoderner Transformationsprozesse sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche deuten sich außerdem verstärkt Veränderungen an, die eine Differenzierung zwischen Außen- und Selbstkontrollen hinfällig machen; vielmehr zeigen sich interdependente Verkettungen zwischen Herrschaftstechniken und Selbsttechnologien. Gerade in Gesellschaften neoliberaler Ausrichtung scheint eine Maxime der Entgrenzung, Mobilität und Flexibilität zu gelten. So verschieben sich Aspekte der staatlichen Verantwortung stärker zu Aufgaben des eigenverantwortlichen Selbst und fordern dabei den Menschen immer mehr Selbstrationalisierung, -disziplinierung und -kontrolle ab, um entlang der sich wandelnden Lebensbedingungen handlungsfähig zu sein. Die vorliegende Kuckuck-Ausgabe widmet sich dem Thema Kontrolle mit heterogenen Perspektiven und Fragestellungen. Einleitend stellt Serhat Karakayali das zeitgenössische Migrationsregime in einen Zusammenhang mit der Frage nach Kontrolle und Selbstregulation, indem er den Kontrollbegriff genealogisch herleitet. Im Anschluss daran zeigt Bernd Kasparek am Beispiel der border management-Agentur Frontex, dass innerhalb der EU das Migrationsregime eine zunehmende Europäisierung der Politiken erlebt.
Trotz kooperativer Strategien zur Unterbindung irregulärer Migration an den EU-Außengrenzen und den Herkunftsregionen, lässt sich die Bewegung der Migration nicht aufhalten und fordert die unterschiedlichen Akteure stets neu heraus. Maria Schwertl skizziert die Kopplung von Entwicklungszusammenarbeit und Migrantenselbstorganisationen und untersucht die Auslotung der Ansprüche von Freiwilligenarbeit und Professionalität innerhalb derselben. Dabei stellt sie dar, wie auf Professionalisierung abzielende Beratungs-, Fortbildungs- und Coachingformate und -techniken in Zusammenhang stehen mit zeitgenössischen Tendenzen der Subjektivierung.
Sven Bergmann stellt in seinem Beitrag die Implementierung elektronischer Fußfesseln in Hessen dar, welche über ein zentrales Computersystem überwacht werden. Im Hintergrund davon stehen strukturierende Stundenpläne, welche den Überwachten einen „bürgerlichen Normalzustand“ antrainieren und somit „ein Regieren aus bzw. über Distanz“ bedeuten. Gerlinde Malli geht deviantem Verhalten von Jugendlichen nach, die in den Medien meist zu Straftätern oder Problemfällen stilisiert werden. Anhand von zwei Beispielen zeigt sie Umgangsstrategien mit problematischen Jugendlichen durch sozialen Ausschluss und Disziplinierung. Verhaltenssteuerung wird dabei zur Kontrolle und Subjektivierung von Normen genutzt. Die Autorinnen Barbara Frischling und Claudia Rückert widmen sich in ihrem Artikel dem städtischen Überwachungsdiskurs. Am Beispiel der Sicherheitspolitiken der Stadt Graz skizzieren die Autorinnen das Potenzial von normierenden, vereinheitlichenden Diskursen, in das Verhalten einzugreifen und per se benachteiligte Gruppen auszugrenzen.
Mithilfe seiner Untersuchungen zu Samenspendebanken zeigt Sebastian Mohr, wie Sexualität als Wissenskategorie von den beteiligten Akteuren konstituiert wird, regulative Normen der Reproduktion verhandelt und entsprechende Verhaltensweisen impliziert werden. Petra Schmidt zeigt in ihrem Beitrag die Wirkweisen spätmoderner Subjektivierungsanforderungen der Arbeitswelt bei Müttern. Die Autorin zeigt, wie „der Wunsch nach Arbeit“ mit den zunehmend divergierenden Leit- und Rollenbildern konfligieren und dabei für eine Aufweichung der Sphären Arbeit und Leben sowie einem hohen Vereinbarkeitsstress führen.
Jens Kabisch kontextualisiert in seinem Beitrag die Politik von Barack Obama. Die Kontrolle der öffentlichen Sprache stellt in Zusammenhang mit den Antiterrorpolitiken einen Kampf um Bedeutung dar. Dabei stellt der Autor das Authentizitätsparadigma heraus, das alles Uneindeutige sanktionieren und den Einzelnen zu Selbstkontrolle aufrufen soll. Abschließend arbeitet Josef Bordat die Bedeutung von Kontrolle bei verschiedenen Utopien heraus. Dabei gilt sein Fokus der Charakterisierung eines Gesellschaftsentwurfs, welcher von Überwachung und Verhaltenssteuerung geprägt ist, aber gleichzeitig Freiheitsgefühle vermittelt, obgleich der Autor davon ausgeht, dass der Mensch im realen Leben verantwortungsvoll genug ist, seine Freiheit und Würde zu bewahren.
Die künstlerischen Beiträge dieser Ausgabe stammen von Fabian Hesse, der sich in seinem Werk mit zeitgenössischen Themen konzeptuell auseinandersetzt. Mithilfe unterschiedlichster Methoden, Medien und Akteurskonstellationen recherchiert und erarbeitet er Strategien, um Begriffe, vermeintlich objektives Wissen und Institutionen herauszufordern. Dabei hinterfragt er auch das Feld der Kunst und die Rolle des Künstlers in der Auseinandersetzung mit der Gegenwart.
Natalie Bayer