2/17 Forschen - Leseprobe
Katharina Eisch-Angus
Wozu Feldnotizen?
Die Forschungsniederschrift im ethnografischen Prozess
Die Alltagskultur der Sicherheit ist ein weites Feld. Wie und gegen welche Unsicherheiten sich Menschen absichern und wie sie dies kommunizieren, aber auch die Frage, wie die Rhetoriken und Begrifflichkeiten der Sicherheit auf das tägliche Leben einwirken, begleitete mich über viele Jahre hinweg als Feldforscherin und Ethnografin.[1] Dabei war mir auf den Reisen in mein südwestenglisches Forschungsfeld, ebenso wie auf meinen täglichen Gängen in der Stadt Lymeston[2] und auf Fahrten zwischen meinen Forschungsorten aufgefallen, wie vehement Schilder – Wegweiser, Warnschilder, Vorschriftstafeln – versuchen, für die Sicherheit von Passanten, Passantinnen und Passagieren zu sorgen und wie sie unsere Reisewege und alltäglichen Umgebungen mit Zeichen der Sicherheit durchsetzen.
Als ich mich an einem Januarmorgen 2009 von Lymeston aus auf den Weg nach Bristol mache, um an der dortigen Universität einen Tag in der Bibliothek zu verbringen und mich mit einer Kollegin zu treffen, beginne ich, den Schilderwald zu fotografieren, der mich auf einer Rampe hinunter zu einer kleinen Bahn-Haltestation begleitet. In der Forschungspublikation heißt es dazu: „So wiederholt sich an allen Lampenpfosten, die die Rampe säumen, die Anordnung ‚No Cycling’. Unter dem Fahrradverbotsschild deutet jeweils ein Schild ‚Caution. Please take care’ eine unbestimmte Fürsorglichkeit an, neblig wie die diesige Stimmung dieses Morgens. Konkreter ist die Warntafel ‚Please keep back from the platform edge’, die sich auch in Kombination mit den großen Stationsschildern […] findet. Noch vor Erreichen des Fahrkartenautomaten auf dem Bahnsteig, in grellem Gelb, mit einer Bußgeldandrohung und voll mit Kleingedrucktem, herrscht schließlich ein großes Schild die Passanten an: ‚WARNING. Have you paid?’[3] Die Schilderbotschaften erscheinen mir laut und penetrant in der Weise, in der sie die Fahrgäste auf ihre Sicherheit aufmerksam machen und dies mit administrativer Kontrolle verbinden. In der Düsternis und der klammen Kälte dieses Morgens tritt dieser Eindruck nur umso stärker hervor. Trotzdem scheine ich die Einzige zu sein, die diese Warnungen vor Lebensgefahr und Strafe überhaupt bemerkt, die Beschriftungen und Kleingedrucktes liest, Anschlagtafeln und Schaukästen beachtenswert (und fotogen) findet. Bis der Zug kommt, lehne ich mich an eines der Wartehäuschen und beobachte, wie immer mehr Menschen die Rampe herunterkommen und wartend, eingehüllt in ihre Winterjacken, manche mit hochgeschlagenen Krägen oder eng am Körper verschränkten Armen, auf dem Bahnsteig stehen bleiben. Manche kauern auf einem der Metallsitze im Wartehäuschen. Nur wenige lösen eine Fahrkarte, offenbar sind die meisten Berufspendlernnen und –pendler, Auszubildende oder Studierende, die für ihren täglichen Weg in die Großstadt eine Dauerkarte haben. Die Stimmung ist verhalten, es wird kaum gesprochen, nur die Jüngeren checken ihre Handys und tippen Textnachrichten ein.[4]