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Cover der Gerechtigkeitausgabe

Holger Lengfeld
Soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft: eine Illusion?

1. Der normative Zweig der Gerechtigkeitsforschung
Um herauszufinden, was unter dem schillernden Begriff der sozialen Gerechtigkeit verstanden werden kann, steht uns ein über zweitausend Jahre alter Lösungsweg zur Verfügung: die politische Philosophie. Zu ihren ureigensten Aufgaben gehört es, darüber nachzudenken, was wir aus moralischen Erwägungen heraus als sozial gerecht ansehen sollten, und wie die Struktur unseres Gemeinwesens aussehen müsste, damit die in ihr ablaufenden Verteilungsprozesse dem Gebot der Fairness entsprechen. Methodisch versucht dieser auch als „normative Gerechtigkeitstheorie“ bezeichnete Wissenschaftszweig, mit den Mitteln der rationalen Abwägung zwischen Argumenten möglichst stichhaltig anzuführen, warum gerade bestimmte Regeln und nicht andere Gerechtigkeit befördern sollen.

Folgt man der normativen Gerechtigkeitstheorie, so sind Fragen sozialer Gerechtigkeit immer mit Situationen sozialer Ungleichheit verbunden, also mit Zuständen, in dem die verfügbaren Güter und Lebenschancen zwischen den Menschen ungleich verteilt sind. Aber nicht in jeder Ungleichheitssituation ertönt der Ruf nach Gerechtigkeit. So führt eine Naturkatastrophe, die nur bestimmte Menschen trifft und andere verschont, zwar zu Ungleichheiten, doch halten wir dies eher für ein Unglück und nicht für eine Ungerechtigkeit. Nur wenn Ungleichheiten aus vollzogenen oder unterlassenen Entscheidungen resultieren, beginnen wir offenbar auch über Gerechtigkeit nachzudenken. In diesem Sinne scheint die Möglichkeit der Zuschreibung von Verantwortung entscheidend zu sein, um überhaupt von Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit sprechen zu können (vgl. Shklar 1992).
Spätestens seit dem schottischen Moralphilosophen David Hume ist jedoch bekannt, dass Gerechtigkeit nur dann zu einem relevanten Thema wird, wenn in einer Gesellschaft weder extremer Mangel am Notwendigsten zum Überleben besteht, noch wenn alles im Überfluss vorhanden ist: „Da aber, wo die Gesellschaft im Begriff steht, durch äußerste Not zugrundezugehen, ist von Gewalttat und Ungerechtigkeit ein noch größeres Unheil nicht zu befürchten, und jeder darf dann mit allen Mitteln, die ihm die Klugheit vorschreiben, die Menschlichkeit gestatten mag, für seine eigene Person sorgen“ (Hume 1972, S. 23). Aber auch im Schlaraffenland, wo jederzeit alle Bedürfnisse befriedigt werden können, wäre der Gedanke an eine gerechte Verteilung unsinnig.
Weil die Menschen nun unter den Bedingungen gemäßigter Knappheit miteinander kooperieren, entsteht ein Verteilungskonflikt um das Produkt ihres gemeinsamen Schaffens. Da sie aber häufig nicht bereit sind, sich dem ungezügelten Spiel der Marktkräfte auszuliefern oder Entscheidungen über Haben und Nicht-Haben durch Gewalt auszutragen, suchen die Menschen nach einer gerechten Regelung. In modernen Gesellschaften ist es jedoch nicht möglich, dass jedes einzelne Verteilungsproblem von allen Betroffenen besprochen und gemeinsam entschieden wird. Dies geschieht vielmehr im Rahmen sozialer Institutionen, die den Einzelnen von der Notwendigkeit ständiger Einzelentscheidungen entlasten. Doch nach welchen Prinzipien sollten Institutionen Verteilungsentscheidungen treffen?
In der gegenwärtigen Gerechtigkeitsphilosophie finden sich dazu sehr unterschiedliche Vorschläge. Zwar gelten Chancengleichheit oder die Gleichbehandlung von Personen einhellig als notwendige, in ihrer Allgemeinheit aber noch nicht hinreichende Regeln, um gerechte Zustände erreichen zu können. Hinsichtlich der konkreten Verteilungsprinzipien besteht dafür große Uneinigkeit.1 Der bekannteste politische Philosoph der Neuzeit, John Rawls, hat eine Verteilungsregel vorgeschlagen, die er als „Differenzprinzip“ bezeichnet: Demzufolge sind materielle Ungleichheiten zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft nur dann zulässig, wenn der Wohlstandszuwachs einiger weniger Reicher zugleich auch die Lage der am schlechtest Gestellten verbessern würde. Demgegenüber vertritt z. B. Ronald Dworkin ein Gerechtigkeitskonzept, dass die Eigenverantwortlichkeit von Personen betont. Beiden wiederum hält der Sozialphilosoph Michael Walzer entgegen, dass sie die Rolle der gemeinschaftlich geteilten Wertvorstellungen, wie sie etwa durch eine gemeinsame Geschichte oder Kultur vermittelt werden, nicht ausreichend berücksichtigen. Dies bedeutet, dass Regeln der Gerechtigkeit jeweils nur auf der Grundlage eines für jede Gemeinschaft oder Gesellschaft spezifischen Wertevorrats bestimmt werden können. Eine für alle Gesellschaften einheitliche Verteilungsordnung sei deshalb nicht sinnvoll.
Viele dieser Vorschläge aus der normativen Gerechtigkeitstheorie klingen durchaus überzeugend. Problematisch an ihnen ist jedoch, dass sie vielfach auf einem hoch abstrakten und allgemeinen Niveau formuliert sind. Ihnen fehlt damit häufig das Potenzial, zur Lösung konkreter gesellschaftlicher Verteilungsprobleme beizutragen. Denn wie sollten wir mit ihrer Hilfe entscheiden, ob es gerecht sei, dass Familien die gleichen Sozialabgaben zahlen sollen wie Alleinstehende, wie hoch eine gerechte Besteuerung von Arbeitseinkommen, Kapitalerträgen oder Erbschaften sei, oder man es im Namen der Gerechtigkeit wäre, Diskriminierungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt durch geschlechtsspezifische Quotierung von Stellen höherer Hierarchiestufen entgegenzuwirken? Auf diese Fragen kann man von der normativen Gerechtigkeitstheorie nur sehr allgemeine Hinweise erhalten.2

2. Die empirische Gerechtigkeitsforschung
Um dennoch Antworten auf die Frage nach der gerechten Gestaltung gesellschaftlicher Verteilungsprozesse erhalten zu können, steht uns ein alternativer Lösungsweg zur Verfügung: die „empirische Gerechtigkeitsforschung“. Im Unterschied zur normativen Gerechtigkeitstheorie geht es diesem Wissenschaftszweig nicht darum, nach Maßstäben für moralisch richtiges menschliches Handeln bzw. für die Ausgestaltung gesellschaftlicher Institutionen zu suchen. Gefragt wird statt dessen, welche Gerechtigkeitsvorstellungen Menschen faktisch haben, von welchen psychischen und sozialen Bedingungen die Einnahme eines bestimmten Gerechtigkeitsstandpunkts abhängt und welche Rolle Gerechtigkeitsüberlegungen sowie Ungerechtigkeitsempfindungen für unser alltägliches Handeln spielen (vgl. zum Überblick Liebig 1997).
In der empirischen Forschung besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass es ein relativ überschaubares Repertoire an Regeln gibt, nach denen Menschen eine Verteilung als gerecht oder als ungerecht beurteilen. Das Beitrags- oder Leistungsprinzip, das Bedürfnisprinzip und das Gleichheitsprinzip sind drei der wichtigsten Regeln, die unser Gerechtigkeitsempfinden leiten. Zugleich ist jedoch bekannt, dass diese Regeln nur in für sie jeweils typischen Sphären als gerecht angesehen werden (vgl. Hochschild 1981; Schwinger 1980). Demnach wird das Leistungsprinzip vor allem dort präferiert, wo wir in Kooperation mit anderen versuchen, bestimmte Ziele möglichst effektiv zu erreichen; etwa unter Kollegen im Unternehmen oder zwischen Konkurrenten auf dem Markt. In emotional geprägten Nahverhältnissen wie Freundschaften, Partnerschaften oder Eltern-Kind-Beziehungen halten wir es dagegen für gerecht, wenn jeder das erhält, was er für die Befriedigung seiner elementaren Bedürfnisse benötigt. Im politischen Bereich wiederum erscheint es uns als selbstverständlich, Gleichheit vor dem Gesetz, gleiche Bildungs- und Lebenschancen einzufordern.
Doch zugleich kommt es vor, dass sich die Gerechtigkeitsvorstellungen der Menschen in Abhängigkeit von ihrer sozialen Lage einander angleichen. Betrachtet man beispielsweise die Verteilung von Einkommen und Vermögen in einer Gesellschaft, kann man anhand von 1996 erhobenen Umfrageergebnissen in Deutschland Folgendes sehen (siehe Tabelle 1): Während sozial bessergestellte Personen eher das Prinzip der individuellen Leistung als gerecht erachten, findet diese Verteilungsregel bei Personen am unteren Ende der gesellschaftlichen Schichtung weniger Zustimmung. Sie sprechen sich im Vergleich zu den Angehörigen der oberen Schichten stärker für Gleichheit sowie für staatliche Interventionen in die Einkommensverteilung aus (vgl. Wegener et al. 2000).
Und nicht zuletzt konnten international vergleichende Studien belegen, dass auch die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis Auswirkungen auf die Gerechtigkeitsüberzeugungen der Menschen hat (vgl. Kluegel et al. 1995). Beispielsweise steht die große Mehrheit der Menschen in Deutsch-land auf dem Standpunkt, soziale Gerechtigkeit zeichne sich unter anderem dadurch aus, dass der Staat jedem einen minimalen Lebensstandard, eine medizinische Grundversorgung und eine angemessene Altersversorgung sichern sollte. Dagegen plädieren die Menschen in den USA weniger für staatliche Umverteilung, sondern stärker dafür, dem Einzelnen möglichst viel Freiheit bei der Verfolgung seiner Lebenspläne einzuräumen, auch wenn sich in der Folge die sozialen Ungleichheiten zwischen den Gesellschaftsmitgliedern vergrößern.

3. Interdisziplinarität in der Gerechtigkeitsforschung
Der empirische Zweig in der Gerechtigkeitsforschung unterscheidet sich vom normativen also wesentlich darin, herausfinden zu wollen, was der Fall ist, und nicht, was der Fall sein sollte (siehe Abbildung 1). Er kann zeigen, dass die faktischen Gerechtigkeitsvorstellungen der Menschen häufig weit weniger wohlüberlegt sind als es die meisten normativen Theorien voraussetzen. Denn während jenen eine Verteilungsregel als gerecht gilt, wenn sie vom Standpunkt der Unparteilichkeit und unter Bezug auf rationale Argumente getroffen wurde, zeigt die empirische Forschung, dass die Einnahme eines Gerechtigkeitsstandpunktes von ganz unterschiedlichen Einflüssen der Persönlichkeit, der sozialen oder kulturellen Herkunft und nicht zuletzt von den eigenen ökonomischen Interessen abhängig sein kann. Jenseits dieser Differenzierung finden wir unter Angehörigen der gleichen sozialen Schicht oder eines Kulturkreises aber auch Konsensstrukturen über die Geltung eines bestimmten Gerechtigkeitsprinzips.
Versucht man nun, die Ergebnisse der beiden Zweige in der Gerechtigkeitsforschung für die Gestaltung konkreter politischer Entscheidungsprozesse fruchtbar zu machen, so könnte man auf die nahe liegende Idee kommen, die Annahme philosophischer Konzepte von den in einer Gesellschaft bestehenden Gerechtigkeitsüberzeugungen abhängig zu machen. Dies würde bedeuten, dass ein normativer Gerechtigkeitsvorschlag dann für die politische Praxis tauglich wäre, wenn er auf ein Höchstmaß an Übereinstimmung mit den Gerechtigkeitsvorstellungen in der Bevölkerung zählen kann.
Nun ist dieser Weg eine zweischneidige Angelegenheit. Schließlich wollen normative Gerechtigkeitstheorien uns immer auch ein kritischer Maßstab sein: Sie wollen nicht einfach nur die bestehenden Verhältnisse fortführen, sondern erheben den Anspruch, die politische Praxis und unser tägliches Handeln zu ändern. Deshalb können normative Gerechtigkeitstheorien nicht einfach das vorschlagen, was die Leute ohnehin schon denken. Sie stünden dann in der Gefahr, einen möglicherweise ungerechten Status quo unbesehen zu rechtfertigen.
Meinungsumfragen über soziale Gerechtigkeit allein können also keine Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung von philosophischen Gerechtigkeitskonzepten herbeiführen. Denn gerade weil Gerechtigkeit in einer Gesellschaft ein stets umstrittener Wert ist, sind Kontroversen über die gerechte Verteilung von Lasten und Privilegien ebenso unausweichlich wie wünschenswert. Damit stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten der Herstellung sozialer Gerechtigkeit jedoch grundlegend neu: Denn wonach sollen wir dann entscheiden, ob ein philosophischer Gerechtigkeitsvorschlag in die politische Praxis umgesetzt werden sollte?
An diesem Punkt jedoch kann die empirische Gerechtigkeitsforschung hilfreich sein. Sie kann darauf aufmerksam machen, inwieweit eine normative Theorie auf die moralische Zustimmung derjenigen Menschen hoffen kann, deren Güterausstattung und Lebenschancen bei der Umsetzung der Theorie in die politische Praxis entscheidend verändert werden würden. Und sie kann der normativen Gerechtigkeitstheorie Hinweise geben, mit welchen gesellschaftlichen Gruppen besonders intensiv darüber diskutiert werden müsste, warum deren Gerechtigkeitserwartungen durch den Umbau des Institutionensystems möglicherweise enttäuscht würden.
Wie wir sehen, können wir erst dann einen verlässlichen Weg im Labyrinth der sozialen Gerechtigkeit finden, wenn wir beide Wissenschaftszweige direkt aufeinander beziehen (vgl. Liebig/Lengfeld 2002). Doch damit dies sinnvollerweise geschehen kann, stehen zwei Probleme im Weg, die zuvor ausgeräumt werden sollten: Das Abstraktionsproblem in normativen Theorien auf der einen und das Adäquatheitsproblem empirischer Forschungsergebnisse auf der anderen Seite:
·    Normativen Gerechtigkeitstheorien wäre anzuraten, ihre Überlegungen stärker an den faktischen Verteilungsproblemen real existierender Gesellschaften zu orientieren. Zwar würde ein solcher Realitätsbezug möglicherweise mit dem teilweisen Verlust der universellen Anwendbarkeit der Theorie erkauft. Doch ohne diesen Preis zu zahlen, wird es der Gerechtigkeitstheorie kaum gelingen, eine ihre wichtigsten Aufgaben besser als bisher zu erfüllen: nämlich zu einer gerechteren Gestaltung unseres real existierenden Gemeinwesens beizutragen.
·    Die empirische Gerechtigkeitsforschung hätte dagegen die Aufgabe, vermehrt solche Untersuchungsmethoden zu entwickeln, mit denen die Akzeptanz normativer Konzepte in der Gesellschaft auch zuverlässig ermittelt werden kann. Dass dies notwendig ist, liegt in der schlichten Tatsache begründet, dass sich dieser Wissenschaftszweig bislang kaum für die normative Frage nach der Gestaltung des Gemeinwesens interessiert hat. Aus diesem Grund kann er zu den wirklich strittigen Fragen in der philosophischen Diskussion auch kaum adäquate empirische Daten liefern: Etwa wäre das Umfrageergebnis, dass zwei Drittel der Deutschen den Wohlfahrtsstaat befürworten, eine für die Philosophie relativ irrelevante, weil viel zu allgemeine Information.

4. Ein Weg zu mehr Gerechtigkeit in der Politik?
Gerechtigkeit, so sagt der Philosoph John Rawls, ist die erste Tugend sozialer Institutionen: Alle Gesetze und Institutionen in einer Gesellschaft, mögen sie noch so effektiv funktionieren, sollten abgeändert werden, wenn sie soziale Ungerechtigkeiten hervorrufen (vgl. Rawls 1993, S. 19). Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich ein Zustand sozialer Gerechtigkeit durch die gleiche Berücksichtigung der legitimen Interessen aller Beteiligten auszeichnet. Ist eine politische Verteilungsentscheidung unter diesen Bedingungen zustande gekommen, so ist es für alle vernünftig, diese Entscheidung auch zu akzeptieren.
Vor dem Hintergrund ihrer herausragenden Bedeutung kann man nun fragen, ob soziale Gerechtigkeit nichts anderes als ein schmückendes Beiwerk politischer Entscheidungen ist, das der Politik deshalb keinen verlässlichen Maßstab bereitstellen kann, weil ein jeder darunter etwas anderes versteht? Zwar zeigt die empirische Gerechtigkeitsforschung, dass die Menschen unterschiedliche Vorstellungen über soziale Gerechtigkeit besitzen; und auch in der normativen Theorie herrscht keine Einigkeit darüber, welche Konzeption gerechter Verteilungsverhältnisse wir verwirklichen sollten.
Doch anhand der vorgestellten Überlegungen zu einer stärkeren Interdisziplinarität zwischen beiden Zweigen kann man sehen, dass Gerechtigkeitserwägungen durchaus zur Befruchtung politischer Entscheidungen beitragen könnten (vgl. Liebig/Lengfeld 2002). Dies wäre zum einen dann der Fall, wenn sich philosophisch-normative Theorien stärker an jenen Verteilungsproblemen orientieren würden, die in realen Gesellschaften typischerweise für Konflikte sorgen. Zu tun gäbe es auf diesem Gebiet genug: Die Gestaltung des Einkommensteuersystems, Fragen der Förderung sozial benachteiligter Jugendlicher oder Regelungen zur Migrationssteuerung wären einige derjenigen Gebiete, auf denen normative Gerechtigkeitstheorien durchaus politisch-praktische Kompetenz unter Beweis stellen könnten.
Sind die normativen Konzepte auf diese Weise für die politische Praxis anschlussfähig geworden, so könnte der empirische Zweig der Gerechtigkeitsforschung dazu beitragen, ihre Umsetzungsfähigkeit unter die Lupe zu nehmen. Daten zur sozialen und wirtschaftlichen Lage, wie sie die amtliche Sozialberichterstattung und Bevölkerungsumfragen liefern, können beispielsweise zur Bestimmung der Gütermenge verwendet werden, die eine Person zur Existenzsicherung benötigt. Außerdem könnten mit Hilfe von Maßen der Einkommens- und Vermögensverteilung in einer Gesellschaft Potenziale zur Umverteilung von Gütern und Lasten ermittelt werden. Und nicht zuletzt haben wir an unserer eigenen Studie zum Mindesteinkommen zu demonstrieren versucht, dass sich Umfragedaten durchaus dazu eignen, die Zustimmungsfähigkeit der normativen Konzepte unter realen Bedingungen abschätzen zu können.

Literatur

Hochschild, Jeniffer L.: What’s Fair? American Beliefs about Distributive Justice. Cambridge (Mass.) 1981.

Hume, David: Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Hamburg 1972.

Kluegel, James R. / Mason, David S./ Wegener, Bernd (eds.): Social Justice and Political Change. Public Opinion in Capitalist and Post-Communist States. New York 1995.

Kymlicka, Will: Politische Philosophie heute. Frankfurt am Main 1996.

Liebig, Stefan: Soziale Gerechtigkeitsforschung und Gerechtigkeit in Unternehmen. München und Mering 1997.

Liebig, Stefan/ Lengfeld, Holger: Gerechtigkeitsforschung als interdisziplinäres Projekt. In: dies. (Hrsg.): Interdisziplinäre Gerechtigkeitsforschung. Zur Verknüpfung empirischer und normativer Perspektiven. Frankfurt am Main/New York 2002, S. 7-20.

Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt am Main 1993.

Schlothfeldt, Stephan: Erwerbsarbeitslosigkeit als sozialethisches Problem. München 1999.

Schwinger, Thomas: Gerechte Güter-Verteilungen. Entscheidungen zwischen drei Prinzipien. In: Mikula, Gerold (Hrsg.): Gerechtigkeit und soziale Interaktion. Bern 1980, S. 107-140.

Shklar, Judith N.: Über Ungerechtigkeit. Berlin 1992.

Wegener, Bernd/ Lippl, Bodo/ Christoph, Bernhard: Justice Ideologies, Perceptions of Reward Justice, and Transformation: East and West Germany in Comparison. In: Mason, David S./ Kluegel, James R. (2000): Marketing Democracy. Changing Opinion about Inequality and Politics in East Central Europe. Lanham 2000, S. 122-160.

Anmerkungen

1     Zum Überblick über das Folgende sowie für weiterführende Literatur vgl. Kymlicka (1996) sowie Steinforth (1999).

2     Erste Versuche, die analytische Fallhöhe zwischen normativer Theoriebildung und konkreten politischen Gestaltungsproblemen zu überwinden, kann man dem Sammelband von Blasche/Döring (1998) sowie der Arbeit von Schlothfeldt (1999) entnehmen.