Vorstadt, Vor-Stadt, vor der Stadt. Die vorliegende Ausgabe des Kuckucks beschäftigt sich mit den Rändern, den Peripherien, den Begrenzungen und dem Saum der Stadt. Eingezwängt zwischen den aufgewerteten Innenstädten im Zentrum und den Villenvierteln am Übergang zum Land stellt die Vor-Stadt deren Anderes dar. Die Vor-Stadt ist sowohl Teil als auch definitorische Grenze der Stadt. Hier gibt es weder Museumdistrikte noch Carports. Im Urbanitätshype ist sie gefährdet wie auch Sehnsuchtsort der Suche nach Authentizität, „wahrem“ Stadtleben und rent gap. Vor-Stadt als Thema fragt aber nicht nur nach räumlichen Verhältnissen, sondern auch nach deren sozialer Bedeutung. Durch welche sozio-materiellen Infrastrukturen wird das Verhältnis von Zentrum und Peripherie hergestellt? Welchen Regulationen ist dieses Verhältnis unterworfen? Wer findet sich am Rande ein und wer wird von der Teilhabe am Zentrum ausgeschlossen?
Trotz ihrer Unterschiedlichkeit und den verschiedenen geographischen Kontexten zeigen die hier vereinten Beiträge die Dominanz der gegenwärtigen Gleichsetzung von Zentrum und Kapital. Lassen sich heute im Stadtraum zwar kaum Zeichen physischen Ausschlusses mehr finden, so wird ein großer Teil der Städter_innen durch die versteckten Banne ökonomischer Gewalt von der Innenstadt ferngehalten und das Verhältnis von Zentrum und Peripherie zunehmend schief. Ein Ende des enormen Anstiegs der Wohnkosten in vielen Städten der Welt ist dabei nicht abzusehen.
Im ersten, einführenden Beitrag unternimmt Johanna Rolshoven einen Streifzug durch die Geschichte der europäischen Vorstadt. Von den mittelalterlichen Orten vor den Toren der Stadt über die offene Stadt und die Hochhaussiedlungen der Moderne bis zu gegenwärtigen Konstruktionen der Vorstädte als gefährliche Orte und Brutstätten des Terrors, stellt die Autorin die Rollen der städtischen Peripherie in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten dar und hinterfragt entpolitisierende Angstprojektionen auf den Rand der Stadt.
Anhand des Begriffs Mahala – einer historischen Form der Vorstadt des 18. und 19. Jahrhunderts – beschreibt Daniel Habit Transformationsprozesse Bukarests. Er zeichnet dabei den Wandel der mit Mahala verbunden Imaginationen bis in die Gegenwart nach. An diesen lassen sich nicht nur Modernitätsvorstellungen, sondern auch Fragen nach der „richtigen“ städtischen Lebensführung ablesen.
Laura Gozzer untersucht in ihrem Beitrag die stadtplanerischen Veränderungen und die damit einhergehenden sozialen und kulturellen Transformationen des im städtisch-lokalen Diskurs stigmatisierten Bezirks Simmering im Südosten Wiens. Die Autorin legt am Beispiel eines dort entstandenen Wohngebiets das Zusammenspiel von Architektur, städtischer Umgebung und ihren Zuschreibungen sowie den zuziehenden Akteur_innen offen, welches die Aushandlung der Vision einer besseren Stadt und des guten Wohnens konstituiert.
Suraya Scheba und Andreas Scheba bieten einen Einblick in die Vorstadt im Kontext der Post-Apartheit in Kapstadt. Die Cape Flats im Schatten des Tafelbergs sind auch heute, über zwanzig Jahre nach dem Ende der Apartheit und trotz einer Vielzahl an staatlichen Wohnprogrammen von Marginalisierung geprägt – nicht zuletzt aufgrund exorbitant steigender Wohnkosten in den innerstädtischen Vierteln. Die beiden abschließenden Beiträge nehmen künstlerische Blicke auf die Vor-Städte in den Blick.
Judith Laister beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit einer Kunstaktion von Richard Kriesche in den 1970er Jahren, welche als eine der ersten sozialkritischen Kunstpraxen in marginalisierten Stadtteilen gelten kann. War das ursprüngliche Ziel des Künstlers das Alltagsleben von Bewohner_innen einer Barackensiedlung in einem Vorstadtbezirk von Graz durch partizipative Kunst sichtbar zu machen, so zeigt Laister auf, wie diese künstlerische Hinwendung zu marginalisierten Lebenswelten gleichzeitig Ausdruck hegemonialer Leitlinien sein kann und bürgerliche Vorstellungen vom Anderen (re-)produziert werden können.
Die römischen borgate hat Klaus Ronnebergers abschließender Beitrag zum Thema. Als Teil des faschistischen Wohnbauprogramms stellten die schlichten Barackensiedlungen und später informellen Siedlungen marginalisierte Orte der städtischen Armutsbevölkerung dar, welche im Zentrum nicht erwünscht war. Als randständige Orte waren sie auch Inspirations- als auch Sehnsuchtsort im literarischen und filmischen Schaffen von Pierre Paolo Pasolini.
Der künstlerische Beitrag in dieser Ausgabe stammt von Bernhard Wolf, in der er verschiedene Konnotationen der Vorstadt einfängt.