Empörung über unzureichende bestehende Verhältnisse entfacht Gegenfeuer. Widerstand ist Ausdruck einer Positionierung in einem System etablierter Ordnungen. So brachte etwa kürzlich Negri in einem Vortrag in Wien den Klassenbegriff der Multitude ein. Toni Negri ruft zur Opposition gegen die "maßlose Ausbeutung der Menge" auf und nimmt das Entstehen eines "General Intellect", der "Konstitution eines immateriellen und intellektuellen Charakters neu zusammengesetzter Singularitäten" vorweg. Selbst wenn eine Herrschaft nicht auf Anwendung von Gewalt beruht, verfügt sie dennoch auch über eine symbolische Dimension der Unterwerfung und setzt dafür kognitive Strukturen als Ordnungsrufe in der sozialen Welt ein.
Dieses System ist nur dem Anschein nach stabil. Die Eruption kann etwa westliche Demokratien - so Mitte März diesen Jahres in Spanien - unvermittelt erreichen. Auffällig sind solch kollektive Gegenfeuer allemal, in einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder zunehmend ihrer Eigenverantwortung überlässt und sich zugleich von einer metaphysischen Perspektive der Befreiung verabschiedet. Die in diesem Heft versammelten Beiträge verdeutlichen die über das Kollektive hinausgehende große Auffächerung von Widerständigkeit.
Einen einheitlichen Charakter von Widerstand gibt es weder in dessen Form noch in dessen Bedeutung. Christopher Ebner beginnt im ersten Beitrag seine Analyse bei den Bedingungen, die an den Widerstand geknüpft sind. Ausgehend von einer Genealogie des Begriffes Widerstand werden Verabsolutierungstendenzen der öffentlichen Diskurse über Widerstand erkundet und schließlich die Legitimität von Widerstand hinterfragt. Eine Legitimität gesteht Josef Bordat in dem darauf folgenden Beitrag sowohl dem Widerstand gegen Interventionen als auch der Intervention als Widerstand zu. Dafür schlägt er eine Brücke in die Zeit der spanischen Conquista, um anhand der Kontroverse zwischen Kolonisten und deren Kritiker ein Anforderungsprofil für einen "gerechten Interventionskrieg", das auch für heute relevant ist, abzuleiten.
Widerstand existiert nicht nur im Großformat, auf der politischen Bühne, sondern auch im Alltag. Axel Philipps verweist auf den Widerstand in der privaten Nische der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (und auch auf den Widerstand der Wissenschaft, dieses alltägliche Verweigern und Widerstreben als Widerstand anzuerkennen) und weitet den Widerstandsbegriff auf jene Bereiche aus, die dem Blick der Öffentlichkeit verborgen bleiben. Noch drastischer zeigt das Beispiel einer Priestergemeinschaft im Konzentrationslager Dachau von Eike Lossin, wie Widerstand im Verborgenen funktionieren kann. Der Monotheismus stellt in seinem politischen Kern vor allem auch eine Widerstandsbewegung dar. Eine Form des Widerstands, die ebenfalls für viele nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, beschreibt Monika Höglinger in ihrem Beitrag über Beweggründe für das Tragen des islamischen Kopftuches.
Im Beitrag von Gerald Winter wird der Tendenz, Widerstand nur außerhalb eines Systems zu verorten, ein Blick auf Widerständigkeit im Inneren entgegengesetzt. Die Betreuung von Flüchtlingen und MigrantInnen funktioniert heute vor allem dank eines Netzwerkes an Nicht-Regierungsorganisationen. Deren Bedeutung ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen, während sich die öffentlichen Institutionen leise zurückgezogen haben. NGOs lindern soziale Spannungen und politische Konflikte. Anerkennung finden sie in bestimmten Kreisen kaum. Die Spannungen im Machtverhältnis zwischen NGOs und dem Staat nehmen zu.
Roland Lutz verführt mit der Faszination vom ewigen Frieden und der Privatrebellion in den Bergen. Seine Anthropologie des Widerstands in einer erschöpften Moderne bietet ein Erklärungsmodell für die Neuentdeckung des Alpinismus einer erlebnishungrigen Gesellschaft. Die Bedeutung des Widerstands liegt hier jenseits des Aufbegehrens sozialer Bewegungen und wird als subjektive Suche nach einem Fähigkeitenraum interpretiert.
C. M. Peer