Die Angst, ist wohl gravierendste, alltäglichste und vertrauteste aller Emotionen. Gleichzeitig stellt sie ein prägnantes zeitspezifisches Phänomen dar, das eine unglaubliche Kraft im Mächtespiel der Spätmoderne entwickelt hat. Sie zu einem Thema der Kulturwissenschaften, zu unserem Thema zu machen, war uns ein Anliegen. Ein oft tabuisierter Gegenstand der noch wenig diskursiven Raum in der Wissenschaft gefunden hat, da doch die Auseinandersetzung mit Gefühlen nach wie vor eher dem Bereich der Literatur zugeordnet wird. Doch wie sehr die Angst heute tatsächlich in allen Lebensräumen unserer Gesellschaft Platz genommen hat und wie sehr es notwendig ist, dass dieses Phänomen (sozial)wissenschaftlich beschrieben wird, lässt sich schon allein an der breiten thematischen Fächerung der bei uns eingelangten Artikel lesen. Ein bedrückendes Bild eines Klimas der gegenseitigen Angst zeichnen Helena Flam und Jochen Kleres in Zusammenhang mit Fremdenfeindlichkeit in Deutschland, deren Ursachen und Wirkungen sie untersuchen. Zudem lassen sie Ausländer selbst diese Furcht der Inländer, sowie auch ihre eigenen massiven Ängste - vor den Behörden, der Arbeitslosigkeit etc. - zur Sprache bringen. Mit der unheilvollen Verquickung von Angst vor Kriminalität, punitiven Einstellungen und staatlichem Strafen in den USA setzt sich Joachim J. Savelsberg in seinem Beitrag "Kriminalitätsangst und staatliches Strafen" auseinander.
Er findet dabei auch in Europa einen Trend hin zu überhöhter Kriminalitätsangst und stellt fest, dass diese explosive Emotion durch diverse Akteure sehr bewusst geschürt wird. Ergänzend dazu fragen sich Diana Reiners und Gilles Reckinger, ausgehend von einem Interviewausschnitt aus "Bowling for Columbine", in der Michael Moore mit dem Bomben bastelnden Jugendlichen DJ ins Gespräch kommt, woher diese so genannte Gewaltbereitschaft von Jugendlichen herrührt und inwieweit nicht strukturelle Benachteiligung und Marginalisierung sowie die fundamentale Angst vor der gesellschaftlichen Entwertung dabei eine maßgebliche Rolle spielen.
Yomb May widmet sich der Sprengkraft von medialen Bildern am Beispiel der verheerenden Terroranschläge von Madrid, indem er eine xenischen Analyse der Angst fördernden Repräsentation von Ausländern in Deutschland unternimmt und dabei feststellt, dass jene momentan in erster Linie in Zusammenhang mit dem internationalem Terrorismus diskutiert werden. Dem Phänomen der Verschwörungstheorien, die in unserer fragil gewordenen Post-11/9-Welt wieder Hochkonjunktur haben, wenden sich Michael Schetsche und Ina Schmied-Knittel zu. Eben jene Theorien, die nach der Zerstörung der Twin-Towers allerortens aus dem Boden schossen, sparen die AutorInnen in ihrer Analyse aber bewusst aus und widmen sich dafür zwei "Klassikern", nämlich der satanistischen und der Alien-Regierungsverschwörung. An Hand dieser Beispiele diagnostizieren sie eine direkte Verbindung zwischen den sich immer größerer Beliebtheit erfreuenden Verschwörungstheorien und der zunehmenden Ratlosigkeit und Angst angesichts unserer hochkomplexen globalisierten Lebenswelten. Dass die Angst auch in einem Berufsfeld zu Hause ist, das eher mit Prestige und guter Bezahlung assoziiert wird, nämlich dem der Ärzte, erfahren wir von Werner Vogd. Er zeichnet das Bild eines Berufsstandes, in dem die von neoliberalen Arbeitsverhältnissen heraufbeschworenen Ängste den Arbeitsplatz Krankenhaus immer mehr in einen Kampfplatz des beruflichen Überlebens verwandeln.
Erwachsene, die sich an durchwachte, angstbeladene Nächte erinnern und Kinder, vereinzelt, vereinsamt in ihren perfekt designten Zimmern, die sich nur danach sehnen, nicht allein einschlafen zu müssen, begegnen uns in Regina Bendix' "NachtAngst", wo sie sich mit der kulturwissenschaftlichen Relevanz der Angst auseinander setzt, die nachts vorm Einschlafen kommt. Der Angst im wissenschaftlichen Feld wiederum wendet sich schließlich Christophe Magand an Hand eines äußerst prominenten Beispiels zu: Er geht der Wirkung von Pierre Bourdieus persönlicher - aus der paradoxen Situation des beherrschten Herrschenden entstandenen - Angst nach, sowie den Auswirkungen auf sein Werk. Magand versteht dabei Bourdieus Angst als den Motor, der ihn zu der, von manchen als Bruch verstandenen, Hinwendung zum Politischen trieb. Die Künstlerin Petra Sterry aus Graz, die wir für die Illustration gewinnen konnten, rundet mit ihren eigentümlich elegischen Bildern von vereinsamten Angstgestalten unser Heft ab.
Elisabeth Schober