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Cover der Angstausgabe

Helena Flam und Jochen Kleres
Angst vor Migranten und Migrantenängste


1. Einleitung

Während Angst sehr oft in verschiedenen populären wie wissenschaftlichen Diskursen zur Fremdenfeindlichkeit auftaucht, wird sie dort dennoch meist unzureichend theoretisiert. Insbesondere die Konzepte der sich seit Mitte der 70er Jahre rasch entwickelnden Emotionssoziologie (s. Übersicht in Flam 2002) werden weitgehend nicht beachtet. Dies gilt auch für neuere, Angst stärker ansprechende Arbeiten zum Thema (z.B. Rippl 2003; Wahl 2002; Wahl, Tramitz und Blumtritt 2001). Demgegenüber möchten wir hier eine neue Perspektive skizzieren, die das Konzept der Gefühlsregeln (Hochschild 1979; 1990) für eine Theorie der Fremdenfeindlichkeit nutzbar macht. Damit wird insbesondere eine kulturelle Perspektive auf Fremdenfeindlichkeit eröffnet. Wir werden zeigen, dass wissenschaftliche, mediale und politische Diskurse Angst als Gefühlsregel im Umgang mit dem "Fremden" in Deutschland diktieren und wie diese Emotion die Gesetzgebung beeinflusst. Im zweiten Teil wird an Hand von Interviews mit Migranten und ihren Kindern gezeigt, dass Angst, Misstrauen und Verdächtigung das Verhalten der Deutschen und der deutschen Behörden den Migranten gegenüber weitgehend bestimmen. Umgekehrt, erfahren auch die "Fremden" in dieser Situation vielfache Ängste. Insgesamt möchten wir unser Hauptaugenmerk auf die sogenannte "Mitte der Gesellschaft" richten und werden Rechtsextremismus daher nur in seinem Bezug dazu diskutieren.

2. Eine emotionssoziologische Perspektive der Fremdenfeindlichkeit

Ausgangspunkt unserer Analyse ist das "Fremde" als soziales Konstrukt, das sich im wesentlichen als eine Grenzziehung zwischen der ingroup und einer wie auch immer vorgestellten Gruppe der anderen verstehen lässt (Albrecht 1997). Dabei handelt es sich nicht um ein naturwüchsiges Phänomen, sondern um einen kontingenten Deutungsprozess, aus dem das "Fremde" als eine kulturell-historisch bedingte Schablone (s. dazu auch Albrecht 1997: 88) hervorgeht, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden kann. Damit möchten wir uns von anderen Perspektiven abgrenzen, die gleichwohl zur Konstitution des Fremden auf einen essentiellen Kern rekurrieren (z.B, Leggewie 1993). Für eine konstruktivistische Perspektive spricht beispielsweise, dass sich die Bilder vom "Fremden" oft gerade in eigentümlicher Abwesenheit konkreter, persönlicher Erfahrungen mit "Fremden" herausbilden (Leggewie 1993: 426). Bizeul (1997) hat außerdem darauf hingewiesen, dass der Begriff des "Fremden" in den Diskursen französischer Intellektueller eine völlig andere Bedeutung hat als in Deutschland. Fremdheit wird dort als eine Grundbedingung der Existenz aller Menschen verstanden. Sie hat keinen Bezug zu Migration. Differenz und Alterität nehmen hier den Platz ein, welcher in Deutschland dem "Fremden" zugedacht ist. Im deutschen Verständnis dagegen wird Fremdheit zu einem trennenden Konstrukt. Merkmal des "Fremden" ist ja gerade, dass es mit dem Eigenen nicht vergleichbar ist (Albrecht 1997). Etabliert man das Unterscheidungsverfahren der Fremdheit als zentralen Modus im Umgang mit Migration, wird damit die Grundlage zu einem angstbeladenen Umgang mit dem "Fremden" geschaffen. Dies fördert ein Denken in schwarz-weiß Kontrasten, die sich zur Projektion von Stereotypen und negativen Emotionen eignen. Angst ergibt sich aus dem Bild des "Fremden", als etwas Unbekanntem, Unwägsamem, Unvertrautem bzw. Vertrauensunwürdigem, möglicherweise Gefährlichem. Sie wird damit zum Hauptgefühl bei der (antizipierten) Grenzüberschreitung, wie sie die (vorgestellte) Begegnung mit dem "Fremden" darstellt (vgl. Leggewie 1993: 428). Dies ist nicht zwangsläufig so, wie der Verweis auf alternative Gefühlsregeln deutlich macht, die auch im deutschen Kulturkreis verfügbar sind: Neugierde, Sympathie, Gefühle der Gastfreundschaft.
Nicht nur die medialen und politischen, sondern auch die wissenschaftlichen Diskurse, so lautet unsere These, kreieren den "Fremden" in Deutschland. Sie bestimmen, dass nur eine sehr einfache Emotionsregel bei Begegnungen mit "Fremden" in Deutschland gilt - Angst und andere negative Emotionen sind zu empfinden. Bestimmte Merkmale wie Hautfarbe, Aussehen allgemein, Sprache etc. werden darin mit stereotypen Bildern und gleichzeitig mit Verdacht und Angst belegt.

3. Wissenschaftliche Diskurse

Der ursprünglich von der Frankfurter-Schule entwickelte Autoritarismus-Ansatz, den Adorno entwarf, um Antisemitismus zu erklären, scheint unendlich ausdehnbar (s. a. Wahl 1995; Winkler 1996; Meyer 1999). Ein amerikanischer Politologe und Deutschlandexperte (O'Brien 1996) erinnert uns daran, dass sich zuerst die amerikanische Besatzungsmacht dieses Ansatzes bediente, als sie "die Deutschen" verstehen und zu Demokraten umerziehen wollte. Es hieß, dass die Deutschen nicht in der Lage sind mit der Freiheit umzugehen. Wie Kleinkinder unselbstständig und auf starke Autoritätsfiguren orientiert, schrecken sie vor der Freiheit in Autoritarismus zurück. Dieser Ansatz legitimierte die Umerziehungsprogramme, welche die Amerikaner konzipierten und zusammen mit anderen Alliierten durchführten (O'Brien 1996: 19-21). Nicht einmal zwei bis drei Jahrzehnte später haben sich die Deutschen bereits als reife Demokraten verstanden und selbst ohne zu zögern, die Gastarbeiter bzw. Migranten, die es in den 1970ern aus der Sicht der fortschrittlichen Politik zu integrieren galt, aus derselben Perspektive betrachtet. Auch diesmal bemühte man sich darum, die verängstigten und verunsicherten Traditionellen - die von Vielfalt, Freiheit, Flexibilität zurückschreckten und ihren eingeschulten Kindern zum Hindernis wurden - zu modernisieren (O'Brien 1996: 62-3). Nach der Wende wurde diese Sicht auf die Ostdeutschen übertragen, denen unterstellt wurde, dass sie nur Scheindemokraten und scheinbare Befürworter der Marktwirtschaft sind und tatsächlich dem starken Staat mit seinem Sozialschutznetz anhängen. Es scheint uns, dass es nicht besonders produktiv ist, weiter auf dieser theoretischen Schiene zu fahren, die durch ihre unendliche Ausdehnbarkeit und stets neu aufgefrischten Fassungen immer weiter abstumpft. Die ursprüngliche gesellschaftskritische Schärfe des Frankfurter-Schule-Ansatzes geht u.E. zwangsweise durch die bloße Wiederholung verloren.

Ein ähnliches wissenschaftliches Denkmuster und zugleich die elaborierteste Beachtung im Zusammenhang mit Fremdenfeindlichkeit findet Angst in einschlägigen anomie- und modernisierungstheoretischen Untersuchungen. Hier handelt es sich um eine Forschungsrichtung die über Parsons bis auf Durkheim zurückgeht (Übersicht in Winkler 2001: 56-8): Grundannahme ist, dass sozialer Wandel zu Verunsicherung, Ohnmachtgefühlen und/oder Statusängsten führt. Neuere Überlegungen dieser Art knüpfen an die Ambivalenzen der Individualisierung an. Die Auflösung traditionaler Integrationskontexte würde nicht nur Freiheiten sondern durch Individualisierung auch Entscheidungslast, Entsolidarisierung, Konkurrenz, zunehmende Mobilität, Statusinkonsistenzen etc. bedeuten. Ängste aus solchen Bedrohungskonstellationen werden dann auf "Fremde" übertragen, wobei Ungleichheitsideologien in ihrer Rolle lediglich darauf beschränkt bleiben, dieses Gefüge mit spezifischem subjektiven Sinn zu färben (kritisch dazu Wahl 1995: 37). Dies würde auch an den in der empirischen Forschung als relativ gesichert geltenden schwachen Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus anschließen. Hier verweist Wahl (1995: 38) u.E. zu Recht auf die Rolle der Denkstrukturen bzw. politischen Diskurse, die als Voraussetzung für eskalierende Ängste durchaus eine Eigendynamik besitzen. Neben inhaltlicher Kritik bleibt jedoch vor allem anzumerken, dass der Diskurs über den "Fremden" hierdurch (wenn auch unintendiert) verbreitet und befestigt sowie wissenschaftlich legitimiert wird: So wird nicht nur Sympathie für deutsche Jugendliche transportiert, die dem Rechtsextremismus im Zuge von modernisierungsbedingter Angst und Verunsicherung anheim fallen (Klönne 1989: 545; Stöss 1994: 43; Wahl 1989). Die Aufmerksamkeit wird von dem prozentuell kleineren, aber nichtsdestotrotz wichtigen Anteil Erwachsener (25 - 35 %), die auch extrem "ausländerfeindlich" sind (z.B. Willems u.a. 1994: 24; s. Übersicht in Dietrich 2002: 38), abgelenkt. Noch wichtiger ist jedoch, dass der Fokus von der "konservativen Mitte der Gesellschaft", die ähnlich empfindet, weggeleitet wird. Letztlich schaffen die modernisierungstheoretischen Diskurse zum Rechtsextremismus eine gewisse Vertrautheit mit und einen Boden für die medialen und politischen Diskurse, welche sich an die "Mitte der Gesellschaft" wenden.

4. Politische und mediale Diskurse

Einen besonderen Beitrag zur Herstellung und Verfestigung der Gefühlsregel Angst liefern politische Diskurse, die bestehende Ängste verstärken und neue schüren. Zu denken ist hier etwa an die Asyldebatte mit ihren Schlagworten der Asylantenflut und -schwemme und deren Ansteigen, Wirtschaftsflüchtlingen, dem vollen Boot. Andere Schlagworte lauten Überfremdung, Durchrassung, Asylantensturm, Asylantenströme. Zu denken ist aber auch an die Diskurse zur Ausländerkriminalität oder die Hinterlist und Betrug suggerierenden Scheinasylanten. Deutlich tritt aus diesen metaphorischen Schlagworten die vermeintliche Bedrohlichkeit des "Fremden" zu Tage: Fluten brechen herein, Boote gehen unter, Reinheit steht in Gefahr (s. a. Wodak, van Dijk 2000). Wie Köstlin (1999) bemerkt: "Flut und Welle sind angstmachende Metaphern - dagegen hilft keine Anstregnung. Sind das Naturereignisse, Katastrophen, die als Landplage kommen und gegen die man Dämme einziehen muss?" Solche "politischen Wasserstandsmeldungen" (Schwagerl 1993) tragen mithin ihr politisches Programm schon in sich.

Thränhardt (1993) hat anhand der Beispiele Deutschland, Frankreich und Großbritannien nachgezeichnet, auf welche Weise und mit welchen Folgen konservative Parteien seit Ende der 70er Jahre Migration unter Verwendung solcher diskursiver Strategien des Schürens von Ängsten gegenüber Migranten für ihre Machtzwecke instrumentalisiert haben. Darauf folgende Gesetzänderungen sind zwar nicht zahlreich (Thränhardt 1993: 339), besitzen aber große symbolische und emotionale Signifikanz, wie wir hier noch darlegen werden. Zunächst lassen sich Folgen solcher Strategien auf der Makroebene identifizieren. Wie Thränhardt (1993:340) argumentiert ist die Verschlechterung des Integrationsklimas, wie sie in Exzessen der Gewalt und - weniger spektakulär - in alltäglichen Äußerungen zum Ausdruck kommt, dabei nur eine allgemeine Entwicklung. Konkret wurde damit vielfach Politikern der extremen Rechten ein neuer Nährboden gegeben, wie das Beispiel der deutschen Republikaner zeigt. Schwagerl (1993) hat dargelegt, dass rechte Parteien und Bewegungen systematisch latente Ängste für ihre Ziele nutzen. Dies betrifft vor allem die Angst vor Arbeitsplatzverlust ("Ausländer nehmen uns die Arbeit weg") sowie Kriminalität durch Verbreitung eines Gefühls der Unsicherheit z.B. in der Form stetiger Forderung von "Gegenmaßnahmen" oder durch (mediale) Verallgemeinerung einzelner (v.a. Gewalt- und Sexual-) Verbrechen. Ihr Rekurs auf Vorstellung gewaltiger Naturkatastrophen beinahe biblischer Couleur (volles Boot, Flut) lässt u.E. eine diskursive Kontinuität zum konservativen Mainstream deutlich zu Tage treten und verweist darauf, dass Fremdenfeindlichkeit eben nicht bloß als Extremismus am Rande der Gesellschaft zu verorten ist.

Es wäre jedoch verkürzt, derartige Diskurse nur in der Parteipolitik verorten. Wie Nora Räthzel (1997) dokumentiert, sind gerade auch die Mainstream-Medien Träger und Akteure solcher Diskurse. In ihrer Analyse der Zeitungen Die Welt und Die Zeit schildert sie, wie das Thema "Ausländer" als diskursive Linse für zahlreiche systemimmanente soziale Probleme (Wohnungsnot, Kriminalität, Arbeitslosigkeit) dient. "Ausländer", ihre massenhafte Zuwanderung und ihre ungenügende Integrationsbereitschaft werden so als Ursache dieser Phänomene konstruiert. Zentral ist dabei der Topos "Toleranzschwelle", mit der Vorstellung eines fixierten maximalen Maßes an Zuwanderung, auf den die einheimische Bevölkerung mit Überforderung und Fremdenfeindlichkeit "natürlicherweise" reagiert. Der Zuzug von "Ausländern" müsse daher begrenzt, ihr Wegzug aus Deutschland ggf. vorangetrieben werden. Dies gestattet, nicht nur ein Problem, sondern gleichzeitig dessen Lösung mitzukonstruieren und damit von den eigentlichen Ursachen der in Rede stehenden sozialen Probleme abzulenken. Dies geschieht v.a. auch durch die Trennung von Ausländer- und Nations-Diskurs (Räthzel 1997: 175-6). Es bleibt für unsere Zwecke festzuhalten: Durch diese spezifische diskursive Verbindung von "Ausländern" und sozialen Problemen wird ein angstmachendes Bedrohungspotenzial aufgebaut, das in verschiedene Richtungen ausstrahlt und damit nicht nur sozial benachteiligte und von sozialen Problemen besonders betroffene Schichten, sondern gerade auch tendenziell liberale Kreise, mit anderen Worten die "Mitte der Gesellschaft" berührt.

5. Gesetzliche Konsequenzen

Die Europäische Union bietet ein weiteres Feld, auf dem politische Diskurse des "Fremden" ihre Wirkung entfalten, darüber hinaus aber auch eindrucksvoll die mit Grenzziehungen verbundene Ängstlichkeit illustrieren. Innerhalb der EU und ihrer Vorläufer gibt es eine lange Entwicklung zunehmender Freizügigkeit und rechtlicher Gleichstellung der Bürger der Mitgliedstaaten (Piper 1998: 22-3). In der Praxis ist diese Bewegungsfreiheit allerdings nur für Güter und Dienstleistungen realisiert. Selbst im Jahr 2001 sind es gerade einmal 1,5 % der EU-Arbeitskräfte, die in einem anderen EU-Staat arbeiteten (Kommission 2004: 40)! Demgegenüber findet nach außen eine entgegengesetzte Entwicklung statt. Insbesondere mit dem Schengenabkommen wird eine Abschottung nach außen realisiert, obwohl bereits eine ganze Reihe anderer internationaler Abkommen eine einwanderungsbremsende Wirkung hat (Piper 1998: 23). Während es nach innen weitestgehende Freizügigkeit und den Wegfall von Grenzkontrollen garantiert, regelt das Abkommen nach außen die Koordination der Grenzkontrollsysteme und der Einwanderungs- und Abschiebungsgesetze und bildet den Rahmen für immer neue Regelungen, die verhindern, dass "unbefugte" Asylbewerber die Schengenstaaten überhaupt erreichen. Dazu trägt auch das Dubliner Abkommen (1990) bei, das zudem die Asylantragstellung in verschiedenen EU-Staaten verbietet. In diesem Zusammenhang wurde durch den EU-Ministerrat 1995 auch geregelt, von Asylbewerbern Fingerabdrücke zu nehmen. Da zur Zeit die Asylbewerber vorwiegend aus nicht-europäischen Staaten kommen, liegt der Verdacht nahe, dass - bewusst oder unbewusst - dadurch eine rassistische "Festung Europa" im Entstehen ist.

Aber auch nach innen sind entsprechende Maßnahmen gerichtet. Hier ist an erster Stelle das Vorrangsprinzip zu nennen, welches Deutschen und ihnen gleichgestellten Arbeitnehmern Vorrang bei der Vergabe von Arbeitsstellen v.a. gegenüber relativ neu hinzukommenden Migranten einräumt. Während die sog. Arbeitsberechtigung eine weitgehende Gleichstellung und abgesicherte Position auf dem Arbeitsmarkt bietet, jedoch für Migranten erst nach mehreren Jahren legaler Beschäftigung bzw. legalem Aufenthalt in Frage kommt, wird die Arbeitsgenehmigung abhängig von der Beschäftigungslage erteilt, d.h. nur dann, wenn sich für eine fragliche Stelle keine deutschen bzw. ihnen gleichgestellten Arbeitnehmer finden lassen. Inhaber einer Arbeitsgenehmigung werden zudem auch bei der Vermittlung durch das Arbeitsamt benachteiligt. Asylbewerber müssen sich ein Jahr rechtmäßig in Deutschland aufgehalten haben, bevor sie eine Arbeitsgenehmigung beantragen können. Von 1997 bis 2000 war es ihnen sogar gänzlich verboten, in Deutschland zu arbeiten. Deutlich tritt hier das Angstmotiv "Ausländer nehmen Arbeitsplätze weg" zutage. Es ist dabei wichtig zu sehen, dass dies große Gruppen von Migranten betrifft, die sich de facto langfristig in Deutschland aufhalten. Wie Kroidl (2002) anmerkt, ist über die bürokratische Hürde hinaus durchaus das Ziel solcher Regelungen, betroffene Migranten für potenzielle Arbeitgeber unattraktiv zu machen und ihnen zudem die Möglichkeit zu erschweren, die knappen staatlichen Zuwendungen aufzubessern und sich im Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu integrieren. Mag die Festung Europa im Einzelfall nicht völlig gegen heranbrandende Migrationsströme abzudichten sein, so werden doch Wege gesucht, im Festungsinneren weitere Dämme aufzubauen.
Wie in dieser Perspektive deutlich wird, schließt die Logik solcher gesetzlich-institutionellen Regelungen eng an die angstbeladenen politischen Diskurse an, aus denen sie mittelbar hervorgegangen sind. Die durch politische Diskurse genährte und transportierte Angst vor Migration wird damit zu einem politisch gestaltenden Faktor und findet sich in institutionellen Regelungen eingeschrieben. Gleichzeitig wird damit auf einer sehr konkreten und handfesten Ebene deutlich, dass Angst zur Verfestigung der Grenzziehung zu "Fremden" einen wesentlichen Beitrag leistet, indem diese an ihrer eigenen Integration gehindert werden.

6. Die alltägliche Ausgrenzung und die Migrantenängste

Die Alltagserfahrungen von Migranten in Deutschland zeigen, dass die Grenzziehungen zu den "Fremden" in vielfacher Hinsicht Leiden, Kränkungen und Ängste verursachen. Wir greifen dabei auf die Ergebnisse aus acht Fokusgruppeninterviews zurück, die wir im Rahmen des international vergleichenden EU-Projektes XENOPHOB in vier Städten in Deutschland mit insgesamt 54 Migranten aus 14 Ursprungsländern durchgeführt haben. Obwohl Fokusgruppeninterviews keine Garantie darstellen, dass man die "repräsentativen" Gruppendiskurse erfasst hat, schenken sie jedoch einen mindestens partiellen Einblick in die Denk- und Argumentationsweise der ausgewählten Gruppe.

Migranten und ihre Kinder über die Deutschen

In den Fokusgruppen war die Sicht auf die Deutschen sowohl positiv als auch negativ. Sich gut eingelebt haben und der Genuss der deutschen Gastfreundschaft sind wohlgemeinte Verweise, die aber zeigen, dass es sogar nach 25 Jahren Gründe gibt, sich in Deutschland nur als dankbarer Gast zu fühlen. Interessant war, dass in fast jeder Stadt die Kategorie des Ausländers z.T. abgelehnt wurde. Man sei kein Ausländer, sondern zweite Generation, EU-Bürger, Mensch mit Migrantenhintergrund usw. Es zeigte sich darin das Bemühen, die ausgrenzende Kategorie des Ausländers zu vermeiden, während die Identifizierung als Deutscher verwehrt ist. Diese Mauer zwischen Deutschen und Migranten zeigt sich auch darin, dass es fast niemandem eingefallen ist, sich zu weigern, sich über die Deutschen als eine getrennte Gruppe zu unterhalten. Deutlich spiegelt sich darin das trennende Konstrukt der Fremdheit, wie von einzelnen reflektiert wurde:

... also, das bedeutet etwas als Ausländer [bezeichnet zu] sein. Eben mit diesem Begriff fängt ... schon für mich eine Diskriminierung an, wenn ich auch seit 25 Jahre hier lebe, dass man immer wieder erfahren muss IHR und WIR ... es wird immer unterschieden … (Berlin, M, Iran)

Ängste der Deutschen

Die Deutschen werden oft als voller Angst und feindlich eingestellt wahrgenommen. Wie sich in den Aussagen der Gruppenteilnehmer widerspiegelt, finden die verschiedenen Diskurse über die "Ausländer" auf der Straße, im Supermarkt oder - seltener - am Arbeitsplatz ihren ganz konkreten Niederschlag in den Alltagserfahrungen. Angst findet sich dabei auf beiden Seiten der Grenze zum "Fremden".

Verbindungen zwischen den Deutschen und den Ausländern werden nicht akzeptiert egal ob Arbeit oder Kindergarten. Man bekommt das klemmende Gefühl es wird der Unterschied zwischen EU-Bürger und anderen Ausländern gemacht. Die Angst ist sowohl für die Deutschen als auch für die Ausländer da. Die wird nicht abgenommen ... (Köln, F, Iran)

... ich fahre ziemlich viel Fahrrad auch so Langstrecke und wenn ich mal Wasser brauche oder so, dann gehe ich da manchmal in die Dörfer und dann klopfe ich einfach. Ich habe also ein paar Mal erlebt: "Nee wir haben kein Wasser" [...] er wollte einfach nicht geben und der hat dann Angst oder [...] da kommen Spaziergänger, die gucken mich wirklich so schief an, was macht der denn hier, was sucht der denn hier ... (Köln, M, Türkei)

... sie schauen mich an, als ob ich ein Alien wäre wirklich, das hat mich irritiert mein Gott ... (Leipzig, F, Kuba)

... bei Ausländern in Geschäften da sind die Leute, die Verkäufer, [...] automatisch etwas arroganter ... (Berlin, M, Italien)

Die angsthaften Diskurse der Deutschen zu Migration, Arbeitslosigkeit und Kriminalität prägen ebenfalls die Alltagserfahrungen:

... wenn ich äh, jemanden Neues kennen lerne sehe ich sofort im Gesicht meistens ein Misstrauen, was will der von mir, hat dunkle Augen, dunkle Haut, er hat dunkle Haare, äh, wo ist mein Portemonnaie so ungefähr, nicht so extrem aber ... (Köln, M, Italien)

... sie haben Angst, dass ich ihre Stelle nehme ihr Geld wegnehme und alles ... (Köln, F, Iran)

Angst vor Behörden

Ein besonderer Bereich, in dem sich die Angst vor den "Fremden" wiederum in Form von Angst auf deren Alltagserfahrungen niederschlägt ist der Umgang mit Behörden. Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung sind durch Befristungen dauerhaft latent prekär. So kehrt mit jedem Verlängerungsantrag, in dessen Verlauf man machtlos und ausgeliefert ist, die Angst zurück, es könnte etwas schief gehen. Aus Unkenntnis der fremden Paragraphen oder weil man eine der vielen Fristen versäumt hat, wird vielleicht die ganze eigene Existenz in Frage gestellt. Und die Arbeitserlaubnis muss noch getrennt erworben werden. Bei jedem Behördengang wird man daran erinnert, dass man "der Fremde" ist. Am Ende, nach vielen, vielen Jahren des bürokratischen Hin und Her, hat man vielleicht gelernt "auf dem Drahtseil zu laufen":

... also man hat gelernt auf dem Drahtseil zu laufen, Beispiel Arbeitserlaubnis. Das muss man machen und wir haben da keine Partner um solche Gespräche zu führen. Ich will mein Papier haben, aber da spürt man den Unterschied ... man spürt die Fremdheit, wenn man Antrag stellt um hier bleiben zu dürfen oder arbeiten zu dürfen oder das Zeugnis anerkannt wird oder bei einer großen Fabrik ... (Köln, M, Griechenland)

In sich selbst ist der Behördengang sehr belastend. Beamte sehen einen immer mit Verdacht an, als ob man bereits was verbrochen hat oder Sachen wollte, auf die man kein Recht hat:

... wenn man zur Ausländerbehörde hingeht und dann Beamte einfach so sagen. Guck[en] dich so
manchmal [an] - diese Blicke sagen mehr als ein Buch, wenn sie z.B. Papiere so rüberschmeißen ... (Berlin, M, Iran)

... aber ich glaube, das ist ganz schwierig, weil ich immer das Gefühl habe, egal wo ich bin, in jedem Amt äh, dass das schon irgendwie vornherein geguckt wird. Ausländer wird sofort SOFORT als schlechter behandelt. Irgendwie dass ich da schon was rauskriegen will was mir nicht zusteht und ich mogeln will usw. Habe ich immer dieses Gefühl, habt ihr das nicht ... (Berlin, F, PL)

Auch wenn man oft sich selbst daran vielleicht gewöhnt haben mag, muss man miterleben, wie die eigenen Kinder diese Erfahrung machen, umso traumatischer als die Kinder in Deutschland geboren und aufgewachsen sind:

... ich habe zum Beispiel einen Sohn, der ist hier geboren, der musste vor ein paar Tagen einen Antrag stellen für eine Aufenthaltserlaubnis. Also, für mich war das verständlich, aber für das Kind war das eine traumatische Erfahrung. Plötzlich hat er kapiert er ist ein Ausländer hier, das ist eine Schweinerei ... (Köln, M, Griechenland)

In engem Zusammenhang damit steht die Angst vor Abschiebung. Geburt, Spracherwerb und Ausbildung in Deutschland bieten keinen automatischen Schutz. Manche, soweit überhaupt möglich, beantragen die deutsche Staatsbürgerschaft, um diese ständige, bohrende Angst endlich los zu werden. Erst dann sind die Jahre der Unsicherkeit vorbei und man wird nicht länger als "Mensch zweiter Klasse" behandelt, auch in politischer Hinsicht:

... wenn ich ein Paket oder Einschreiben [abholen wollte] jedes Mal, die wollten einen Ausweis oder Pass von mir haben und jedes Mal wurde so komisch geguckt und überall geblättert ... als ich das erste Mal mit meinem [neuen deutschen] Ausweis da rein gegangen bin, ich habe erst danach bemerkt wie unterschiedlich auf einmal, waren die sehr höflich, da dachte ich mir bis dahin bin ich wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt ... von den Behörden bei der Bank war das genau so ... [w]as ich diskriminierend fand bis dahin, dass ich hier in Deutschland, auch wenn ich 15 Jahre hier in Deutschland lebe, habe ich kein Wahlrecht. Das fand ich unmöglich und das war allein und der einzige Grund, warum ich sagte, jetzt möchte ich die deutsche Bürgerschaft beantragen ... (Köln, F, Iran)

Angst vor Arbeitslosigkeit und Wut über den schamvollen Verruf

Es scheint, dass nicht nur die Deutschen, sondern auch die Migranten und ihre Kinder, Angst vor Arbeitslosigkeit spüren, wenn auch unter z.T. anderen Bedingungen: Diskriminierung erschwert den Zugang zur Arbeit. Die eigene Arbeitsmoral wird von den Deutschen ständig und überall in Frage gestellt. Manche Gruppenteilnehmer waren sich sehr der Hindernisse bewusst, die sie bei der Arbeitsvermittlung erfuhren, die meisten aber reflektierten informelle Benachteiligungen etwa bei Bewerbungen aufgrund eines fremdklingenden Namens oder Akzents:

... man muss [sich] vielleicht sehr viel bemühen und am Ende bekommt man einen bitteren Geschmack ... (Köln, M, Griechenland)

Anerkennung von Titeln und Arbeitserfahrung ist eine weitere komplizierte Hürde. Nicht selten wird dabei die eigene, reiche und aktive Vergangenheit für null und nichtig erklärt:

... als ich dort [Industrie- und Handelskammer] war und das schriftlich haben wollte hat die Frau gelesen was ich gemacht habe, welche Ausbildung ich gemacht habe. Aber sie hat gefragt: "Was haben Sie genau gemacht, erzählen Sie, haben Sie hier gearbeitet?" "Nein, also haben Sie eigentlich nichts gemacht". Wie nichts, ich habe in Polen gearbeitet. "Na ja, wir können nur schreiben, dass Sie eine Bürokauffrau sind" ... (Leipzig, F, PL)

Angesichts schwieriger Arbeitschancen sind viele bereit, illegal oder weit unter ihren Qualifikationen zu arbeiten, um der endlosen Zeit ohne Beschäftigung und Würde zu entkommen - die iranischen Taxifahrer in Köln sind dafür sprichwörtlich. Schließlich sehen Migranten oft ihre Arbeitsmoral angezweifelt und wollen sich verteidigen. Vor die Alternativen gestellt, als Konkurrent um Arbeit oder aber als fauler Sozialparasit zu gelten, finden sie sich in einer no-win-Situation wieder. Was zur Wahrung der eigenen Würde und der sozialen Anerkennung bleibt, sind die eigenen Kontraargumente:

... ich weiß nur, wie soll ich sagen, ausländische Arbeitslose haben eine ganz andere Beziehung zu Arbeitslosigkeit, als deutsche Arbeitslose. Ich kenne auch einige die arbeitslos sind. Deutsche die sagen sich, ach ja, es zahlt ja eh der Staat, was soll ich denn arbeiten, da bleibe ich lieber zu Hause und kriege ordentlich Geld. Es wird kein Ausländer so sagen ... die tun wirklich alles dafür, dass sie arbeiten. Das ist einfach so die Mentalität, ich meine, das ist dann eben auch so ein Unterschied zwischen einem Ausländer und einem Deutschen. Ich kenne wirklich keine Ausländer, die sich zu Hause hinsetzen und sagen ach, der Staat zahlt. Macht keiner oder keiner, den ich kenne ... (Köln, M, Kroatien)

... sie sagen, dass wir faul sind Ausrede ... ich habe Müll gesammelt, da haben sie gesagt die Ausländer nehmen uns Arbeit weg. Wenn man Arbeit will, dann findet man. Es ist Quatsch wenn die Deutschen sagen, dass wir Arbeit wegnehmen. Finde ich nicht schön ... (Köln, F, Türkei)

7. Schlusswort

Wie diese Eindrücke aus unseren Gruppeninterviews zeigen, ist die Grenzziehung zum "Fremden" für Migranten und ihre Nachkommen eine allseits präsente Bedingung ihres Alltagslebens. Diese Grenzziehung bestimmt, dass der Alltag nicht nur schmerzlich, sondern auch beängstigend ist. Angefangen hat es mit politischen und medialen Diskursen und Gesetzen, welche Angst unter den Deutschen seit den 1970er Jahren schüren. Angst wird damit zu einem zentralen Gefühl auf beiden Seiten der Grenzziehung und ist ein Mittel zu ihrer Aufrechterhaltung. Fremdheit wird damit zu einer angstbewehrten Scheidelinie. Wie unser vergleichendes EU-Projekt zeigt, lassen sich unsere Befunde zu Migrantenängsten durchaus verallgemeinern. Im Gegensatz dazu zeigt Waldrauch (2001) in seinem europaweiten Vergleich, dass in den Bereichen Arbeitsrecht und Zugang zur Arbeit Deutschland eine Mitteposition einnimmt, während die Situation z.B. in der Schweiz oder in Österreich restriktiver ist. Belgien, Frankreich und die Niederlande bieten in dieser Hinsicht günstigere Rahmenbedingungen. Im Zusammenhang mit politischen Diskursen zeigen Wodak und Van Dijk (2000), dass migrantenfeindliche Diskurse überall in Europa geführt werden. Letztlich bezeichnen unsere Anmerkungen zur Festung Europa einen allgemeinen rassistischen Trend in Europa.