Übergänge fordern heraus, sie verlangen, Position zu beziehen und Entscheidungen zu treffen, auf Neues zu reagieren, sie evozieren Unsicherheiten. Übergänge - da denkt man im Jahr 2000 natürlich auch an den Millenniumswechsel: Großveranstaltungen, Endzeitstimmungen und spirituelle Transformationen begleiteten den Übergang ins nächste Jahrtausend und interessieren als millennial movements auch von kulturanthropologischer Seite.
Übergänge, Schwellen, Transformationen, Brüche oder Zäsuren repräsentieren jedoch viel breitere Möglichkeiten der Auseinandersetzung, auf die die Beiträge des aktuellen Kuckuck zumindest einige Schlaglichter werfen. Was passiert bei Übergängen, wie kommt es zu Veränderungen, was sind die auslösenden Momente, welche gesellschaftlichen Konsequenzen sind damit verbunden? Das Leben ist kein ruhiger Fluß, sondern ist - um im Bild zu bleiben - immer wieder mit Richtungswechseln und unterschiedlichem Gefälle konfrontiert, mal werden Hindernisse einfach überspült oder mitgerissen, mal staut sich davor das Wasser auf, mal werden sie hartnäckig bekämpft, mal ein neuer Weg gesucht.
Die Fließgeschwindigkeit ändert sich, je nach Gefälle und Möglichkeit der räumlichen Ausbreitung. Übergänge rufen auch Assoziationen zu den sie begleitenden Handlungen, den rites de passage, hervor, die den Einzelnen und die Gruppe stützen und lenken. Arnold van Gennep und Victor Turner haben dazu bekanntermaßen ihre klassischen Beiträge geliefert und das Augenmerk auf die zentrale Phase der Transformation gerichtet. Das Modell ist jedoch nicht auf den menschlichen Lebenslauf beschränkt, sondern schließt Übergänge ganz allgemein mit ein, seien sie gesellschaftlicher, räumlicher, biologischer oder kosmischer Art. Immer wieder neue Schwellen wie Nacht, Jahreszeit, Adoleszenz trennen und vereinigen wieder, verändern Zustand und Form und stehen für Sterben und Wiedergeborenwerden. Die Schwellen symbolisieren Handeln und Innehalten, Warten und Sich-Ausruhen; die typische Abfolgeordnung ist markiert durch Trennung, Umwandlung und Angliederung.
Die Übergangsrituale lassen die Diskontinuitäten im zeitlichen und sozialen Lauf der menschlichen Existenz in den Vordergrund treten. Sie erleichtern das Verkraften von Veränderungen von Status, Zustand oder Ort dadurch, daß sie in die Gesellschaft einbinden und zur Aneignung ihrer Werte beitragen. Sie kanalisieren die Ängste und kontrollieren Gefühle in einer überhöhten Form; sie geben Handlungsanweisungen und legen den Ablauf des Statuswechsels fest. Nicht nur die bewährten stabilisierenden Muster, sondern gerade die Möglichkeiten, im kulturellen Korsett kreativ und innovativ zu agieren, sind ein lohnendes Thema. Der notwendige Bruch mit dem Alten schafft Raum für Neuorientierungen, bedingt aber zuerst einmal auch Unsicherheiten.
Der Blick auf die historische Entwicklung zeigt einerseits eine Relativierung der Bedeutung traditioneller Zäsuren. Auf der anderen Seite kam es im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einer Vermehrung der äußeren Anlässe, die den Lebenslauf strukturieren, worauf beispielsweise Pierre Centlivres hingewiesen hat. Ina-Maria Greverus spricht von für die Postmoderne geradezu charakteristischen patchwork-Biographien. Mobilitäten - nicht nur im räumlichen Sinn - zeichnen dafür verantwortlich: Darin müssen nämlich Berufswechsel, technische und mediale Neuerungen und Phasen der Arbeitslosigkeit ebenso integriert werden wie wechselnde Partnerschaften und damit einhergehende Beziehungsanfänge und Trennungen. In einer so ritualfreudigen Zeit werden immer neue Anlässe gefunden, um den Alltag zu unterbrechen und Prozesse des Sich-Zuordnens und Sich-Abgrenzens in die Übergänge zu integrieren. Prozesse des Übergangs beziehen aber auch gesellschaftspolitische Veränderungen mit ein, wie jüngst Wolfgang Kaschuba in seiner Beschäftigung mit der Aktualität der Turnerschen Positionen zeigte, indem er sie auf europäische Übergänge umlegte.
Im vorliegenden Heft stellt Peter Niedermüller zentrale Aspekte der Diskussion über Transformationsprozesse in den ehemaligen kommunistischen Ländern kritisch und aus kulturanthropologischer Perspektive dar. Johanna Rolshoven widmet sich der Konzeption der städtischen Passage als Symbol- und Gefahrenraum in französischen und deutschen Städten des 19. Jahrhunderts. Der "Weg dazwischen" wird als lästiger Zeitverlust empfunden oder als Flanieren, als prestigeträchtiger Aufenthalt zwischen den Orten. Ute Süßbrich hat in einem der think tanks des virtuellen Zeitalters geforscht; der Beitrag macht nicht zuletzt auf die Schwierigkeit aufmerksam, sich mit kulturanthropologischem Vokabular den Phänomenen neuer Medientechnologien und ihrer kulturellen Auswirkungen anzunähern. Eine reizvolle Verbindung von Kunst und Wissenschaft stellt Katharina Eisch in ihrem Projekt "Der gläserne Vorhang. Eine Grenzbegehung" vor, ein interdisziplinäres Experiment, eine Darstellung eines interkulturellen Gruppenprozesses und ein Beispiel für eine border anthropology im Schatten des Eisernen Vorhanges. Eine "traditionelle Hochzeit", neue Familienmodelle und jahreszeitliche Übergänge dienen Christoph Köck als Grundlage für seine Beschäftigung mit Übergängen im späten 20. Jahrhundert und den Möglichkeiten ihrer kulturwissenschaftlichen Interpretation. Den Übergängen zu den Nachbardisziplinen Ethnowissenschaften im internationalen sowie nationalen Kontext widmet der Ethnologe Andre Gingrich seine Überlegungen und bietet Anschlußmöglichkeiten für zukünftige Diskussionen zwischen den Fächern. Rosa Julia Rosenberger nähert sich schließlich aus der Wahrnehmung einer Lyrikerin dem Thema.
Adelheid Schrutka-Rechtenstamm